Archiv für den Monat: Dezember 2021

38. Deutscher Krimipreis 2021

National

Preisträgerinnen des Deutschen Krimipreis 2021 - Kategorie "National"

1. Platz: Merle Kröger: Die Experten (Suhrkamp)

Die sechziger Jahre. Adolf Eichmann wird in Jerusalem zum Tode verurteilt. Konrad Adenauer sagt Militärhilfe für Israel zu. Gleichzeitig jedoch zieht es deutsche Flugzeugkonstrukteure, Triebwerksbauer und Raketentechniker in großer Zahl nach Ägypten. Merle Kröger erzählt in ihrem vielstimmigen Thriller „Die Experten“ von einem deutschen Wissenschaftler, der in Ägypten Jagdflugzeuge baut, und von einer Familie, die im Nahen Osten zwischen die Fronten der Nachkriegszeit gerät.

„Es ist bemerkenswert, wie Merle Kröger das Private mit dem Politischen verbindet. (…) In dieser Familiengeschichte, in diesem Thriller zeigt sich das Verdrängte, über das bis heute nicht gesprochen wird: Das betrifft die großen Kontinuitäten in der Politik. Entscheidungen, die damals in den Anfangsjahren der BRD getroffen wurden, haben noch heute Folgen. Das betrifft Kontinuitäten in der Forschung, in Kultureinrichtungen, in Unternehmen und in der Frage, woher eigentlich welches Kapital kommt. Aber es sind auch Kontinuitäten in den Familien. Der Politthriller soll die Wahrheit hinter der Wahrheit aufdecken, Merle Krögers ‚Die Experten‘ macht deutlich, dass es viele Wahrheiten gibt.“ (Sonja Hartl, Zeilenkino)

2. Platz: Johannes Groschupf: Berlin Heat (Suhrkamp)

Berlin ist kochend heiß im ersten Sommer nach der Pandemie. Die Touristen sind zurück in der Party City, überall wird exzessiv gefeiert, die Menschen genießen die Zeit nach dem Lockdown. Gut für Tom Lohoff, der für das Partyvolk aus aller Welt Wohnungen, Drogen aller Art, Sex und Zugang zu Top-Clubs im Angebot hat. Auch politisch geht es in der Stadt heiß her. In ein paar Wochen sind Bundestagswahlen, die Rechten inszenieren die Entführung eines ihrer Politiker als False-Flag-Operation, um auf Stimmenfang zu gehen, und Tom hat ihnen versehentlich eine seiner Wohnungen vermietet. Die Dinge geraten außer Kontrolle.

„Johannes Groschupf jagt seinen zweischneidigen Helden, dem bald die halbe Stadt auf den Fersen ist, so packend wie unterhaltsam von einem Schlamassel in den nächsten – und nutzt die Gelegenheit dieser wilden Hatz für ein flirrendes Großstadtportrait der besonderen Art: Im tropischen Sommer dieses Jahres 2021 ist Corona mehr oder minder überwunden, die Bundestagswahl steht vor der Tür, und die Metropolenbewohner lassen es nach anderthalb Jahren Isolation so richtig krachen. (…) ‚Berlin Heat‘ ist jedenfalls ein höchst gegenwärtiger (Polit-) Thriller mit Biss, Witz und Verstand, der mit großer Lust das Leben feiert. Auch wenn das mitunter einen hohen Preis kostet.“ (Ulrich Noller, WDR)

3. Platz: Susanne Saygin: Crash (Heyne)

Torsten Wolf steht unter Druck. Nach dem überraschenden Tod des Bauunternehmers Christof Nolden soll der Berliner Anwalt nun dessen Geschäfte lenken. Aber Wolf stößt im deutschlandweit agierenden Nolden-Konzern bald auf Ungereimtheiten (…). Gemeinsam mit Isa Kurzeck versucht Wolf Licht ins Dunkel zu bringen. Aber je tiefer die beiden in die Konzernstrukturen eintauchen, desto deutlicher wird, dass es längst nicht mehr um die Geschicke eines Unternehmens geht, sondern um den Zusammenhalt unserer ganzen Gesellschaft.

„Saygins Thriller ‚Crash‘ ist grelle Anklage, Karikatur einer Clique aus Politik und Wirtschaft, die nicht nur gnaden- und skrupellos auf Bereicherung aus ist, sondern auch auf Machtergreifung im Ungeist eines neuen Hightech-Nationalismus. In ihrem Roman balanciert Saygin auf der Grenze zwischen naturalistischer Darstellung von Verkommenheit und satirischer Überzeichnung. Diesen Ritt auf der stilistischen Rasierklinge reflektiert sie erzählerisch in einer pervertierten Kunstaktion zwischen Werbung und kollektiver Massenbeeinflussung (…). ‚Crash‘ ist Berlin Noir grotesk: je lascher die Politik, desto wilder der Krimi.“ (Tobias Gohlis, Deutschlandfunk Kultur)


International

Preisträgerinnen des Deutschen Krimipreises 2021 - Kategorie "International"

1. Platz: David Peace: Tokio, neue Stadt (Liebeskind). Deutsch von Peter Torberg

Tokio im Jahr 1949, Japan unter US-amerikanischer Besatzung. Sadanori Shimoyama, der Präsident der nationalen Eisenbahngesellschaft, wird tot auf den Bahngleisen aufgefunden. Er hatte kurz davorgestanden, zehntausende Mitarbeiter entlassen zu müssen. Die Tokioer Polizei würde seinen Tod gern als Suizid aufgrund des hohen beruflichen Drucks abhaken. Den Amerikanern hingegen wäre ein Mord durch die Gewerkschaften lieber, weil ihnen das beim Zurückdrängen der Kommunisten in die Hand spielen würde.

„Die Sprache, die der Autor wählt, ist nüchtern und schlicht, er beobachtet genau und schildert Alltagshandlungen detailliert. Und doch ist diese Kargheit durchlässig: Wahn und Traum verschwimmen, öffnen sich der Geisterwelt und lassen die Toten und die Vergangenheit in die Gegenwart eindringen. (…) David Peace macht es seinen Leser:innen nicht leicht. Seine Bücher sind dunkel und verstörend, sie widersetzen sich Eindeutigkeiten und Konventionen, ‚Tokio, neue Stadt‘ macht da keine Ausnahme. Es ist voller Wut und Ekel. Und doch entfaltet es einen Sog und eine sprachliche Wucht, eine grimmige Schönheit, der man sich nicht entziehen kann.“ (Kirsten Reimers, Deutschlandfunk)

2. Platz: Colin Niel: Nur die Tiere (Lenos). Deutsch von Anne Thomas

Évelyne Ducat verschwindet eines Tages spurlos, und das Städtchen im französischen Zentralmassiv rätselt. Es kursieren Gerüchte und Beobachtungen. Doch nicht alles wird der Polizei preisgegeben, denn hier in der abgeschiedenen Bergwelt hüten die Menschen ihre Geheimnisse. (…) Mit jedem Kapitel erhält eine andere Person das Wort, und ein neues Geheimnis, ein neuer Verdacht taucht auf, bis sich das Puzzle um Évelyne Ducats Verschwinden zusammenfügt.

„Colin Niels’ Roman ‚Nur die Tiere‘ ist eine Art Plot-Wunder (…), (…) ein schönes Beispiel, wie man den guten alten Whodunnit sinnvoll wiederbeleben und gleichzeitig demontieren kann, weil es keinen Masterplan gibt, und in dieser Welt, die der Roman schildert, auch gar nicht möglich wäre. Wie Niel die fünf Perspektiven so montiert, dass am Ende kein Rashomon-Effekt entsteht, sondern Zufall und Irrtum erzählbar werden, und es tatsächlich eine Wahrheit gibt, ist große Handwerkskunst – die aber nur so brillant funktionieren kann, weil hier eine substanzielle Geschichte erzählt wird, die einen wirklichen ‚Sitz im Leben‘ hat.“ Thomas Wörtche, Deutschlandfunk Kultur)

3. Platz: Garry Disher: Moder (Pulp Master). Deutsch von Ango Laina und Angelika Müller

Wyatt stiehlt. Und das ziemlich gut, denn er ist vorsichtig wie eh und je, effizient und erfinderisch. Bei der Auswahl seiner Jobs greift er diesmal auf einen Informanten im Knast zurück, der direkt an der Quelle sitzt: Sam Kramer. Bis zu dessen Entlassung kümmert sich Wyatt im Gegenzug um Kramers Familie. Doch der Afghanistan-Veteran Nick Lazar erfährt von dieser Vereinbarung. Lazar erfährt zudem, dass Kramer zu Ohren gekommen ist, dass dem schlitzohrigen Finanzberater Jack Tremayne eine satte Anklage ins Haus steht und ein Koffer mit einer Million schon griffbereit ist: Tremayne will die Flatter machen …

„Man muss Wyatt nicht mögen, um Dishers Wyatt-Romane (inzwischen sind es neun) hinreißend spannend, ja vergnüglich zu finden, da sie den Diebstahl und seine Vorbereitung Zug um Zug wie ein Schachspiel inszenieren. Entscheidend ist auch bei ‚Moder‘ wieder (…), wie ausnehmend fein die Zahnrädchen der Planung und Handlung ineinandergreifen. Denn Wyatt ist kein Draufgänger und Vabanque-Spieler, kühl kalkuliert er noch den unwahrscheinlichsten Zwischenfall sowie Zufall mit ein und versucht, sich auch dafür ein Hintertürchen offen zu halten. (…) Aber es wäre ein langweiliger Thriller, wenn Wyatts penible Planungen tatsächlich aufgingen.“ (Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau)


Die Jury: Volker Albers (Hamburger Krimifestival) / Andreas Ammer (ARD) / Claudia Denker (Buchhandlung Chatwins, Berlin) / Jens Dirksen (WAZ Kultur) / Monika Dobler (Krimibuchhandlung Glatteis, München) / Christiane Dreiling (Buchladen Neusser Straße einzigundartig, Köln) / Joachim Feldmann (Kritiker) / Tobias Gohlis (Krimikolumnist Die ZEIT) / Günther Grosser (Kritiker) / Sonja Hartl (Kritikerin) / Cornelia Hüppe (Krimibuchhandlung Miss Marple, Berlin) / Reinhard Jahn (Bochumer Krimi Archiv) / Hermann Kling (Kritiker) / Christian Koch (Krimibuchhandlung Hammett, Berlin) / Alf Mayer (Kritiker CrimeMag) / Torsten Meinicke (Buchladen in der Osterstraße, Hamburg), Peter Münder (Kritiker) / Ulrich Noller (WDR) / Michaela Pelz (krimi-forum.de) / Kirsten Reimers (Kritikerin) / Robert Schekulin (Kritiker, Buchhändler) / Jan C. Schmidt (kaliber38.de) / Joachim Schneider-Sacotte (Kritiker) / Sylvia Staude (Frankfurter Rundschau) / Bettina Thienhaus (Kritikerin) / Jutta Wilkesmann (Krimibuchhandlung Die Wendeltreppe, Frankfurt) / Thomas Wörtche (Kritiker)

Die Kritiker:innen der Jury stimmen nicht für Titel, an deren Veröffentlichung sie aktiv beteiligt sind. Thomas Wörtche stimmt zudem nicht für Titel des Suhrkamp Verlags.


Der Deutsche Krimipreis ist der älteste deutsche Krimipreis. Seit 1985 zeichnet eine Jury aus Krimi-Kritiker*innen, Literaturwissenschaftler*innen und Krimi-Buchhändler*innen die besten Kriminalromane des Jahres aus.

Mit dem Deutschen Krimipreis – vergeben in den Kategorien National und International – werden jeweils drei Romane gewürdigt, die inhaltlich originell und literarisch gekonnt dem Genre neue Impulse verleihen.

Der Deutsche Krimipreis ist undotiert und wird – ungewöhnlich in der Szene der Literaturpreise – in der Regel nicht öffentlich verliehen, sondern lediglich der Öffentlichkeit bekannt gegeben.

Auf dieser Seite finden Sie Informationen darüber, wer zur Jury gehört und wie die Teilnahmebedingungen sind. Außerdem können Sie sich über die Entstehung und Geschichte des Preises informieren.

Hier geht es zum Archiv: den Preisträgern von 1985 bis 2018 sowie zu den 119 besten Kriminalromanen aller Zeiten, die die von einer Jury ermittelt wurden.

Für alle Fragen, die nicht in der FAQ zum Deutschen Krimipreis beantwortet werden, gibt es die Möglichkeit, Kontakt mit der Organisatorin aufzunehmen.