Archiv für den Monat: Dezember 2022

39. Deutscher Krimipreis 2022

National

Die Preisträger:innen des 39. Deutschen Krimipreises 2022

1. Platz: Johannes Groschupf: Die Stunde der Hyänen (Suhrkamp)

In der Hauptstadt brennen seit Monaten nachts PKWs. Berliner Autofahrer fühlen sich allein gelassen und gehen in ihrem Kiez auf „Bürgerstreife“, während der polizeiliche Staatsschutz linken Unrat wittert. Die junge Polizistin Romina Winter ist gerade frisch zum Dezernat für Branddelikte versetzt worden und patrouilliert durch die nächtliche City. Durch die streift auch der Postbote Maurice Jaenisch, der ganz sicher weiß, dass die Stadt von Satan beherrscht wird. Auch Jette Geppert ist unterwegs. Sie ist Reporterin bei Kriminalprozessen in Moabit und ein Super Recognizer: Sie kann Gesichter zuverlässig wiedererkennen. Drei Menschen treiben durch die riesige Stadt, deren Nachtgesicht geheimnisvoll, faszinierend und brandgefährlich ist.

„Erpressung, Seelenzerstörung, Missbrauch – alles von Groschupf in klarer, erdnaher, bodenständiger Sprache gefasst. Sonst wären die Exzesse an psychischer Gewalt und Verrat nicht zu ertragen. Der Kampf aller gegen alle um einen Hauch Anerkennung, um einen Fleck, an dem sie sie sein können, endet wie im Märchen: in einem reinigenden Feuer. In dessen Rauch das Böse sich auflöst. (…) Johannes Groschupf hat nach ‚Berlin Prepper‘ und ‚Berlin Heat‘ in seinem dritten Kriminalroman einen neuen Weg eingeschlagen, und der führt zu ganz Großem.“ (Tobias Gohlis, Deutschlandfunk Kultur)

2. Platz: Oliver Bottini: Einmal noch sterben (Dumont)

Februar 2003. Nach den Anschlägen von New York steht der Krieg gegen den Terror vor einem weiteren Höhepunkt: Die USA und ihre Verbündeten bereiten sich darauf vor, in den Irak einzumarschieren. BND Agent Frank Jaromin ist gerade von einem Einsatz in Bosnien zurückgekehrt, da kommt ein hochbrisanter Auftrag aus dem Kanzleramt: Eine irakische Regimegegnerin behauptet, die Vorwürfe, die den Krieg legitimieren sollen, seien erfunden, es gebe im Irak nachweislich keine Massenvernichtungswaffen. Der BND schickt Frank Jaromin in geheimer Mission nach Bagdad, um die Beweise der Dissidentin zu sichern und den Krieg im letzten Moment zu verhindern. Das aber liegt nicht im Interesse einer Gruppe einflussreicher Akteure.

„Unter der reichlich vorhandenen Action und den oft herzzerreißenden Schicksalen der Figuren liegt ein bitterböser Kommentar zu den politischen Verhältnissen, bei dem das ‚damals‘ ganz schnell zum ‚heute‘ wird, wenn man (…) die Mechanismen von Weltpolitik aus einer fiktionalen Perspektive betrachtet (…). Oliver Bottinis unaufgeregte, sachliche Prosa verzichtet auf sensationsheischende Hysterie, Cheap Thrills und vor allem auf die verschwörungstheoretische Gewissheit, dass in Wirklichkeit alles genau so verlaufen sei. Das alles macht ‚Einmal noch sterben‘ zu einem hervorragenden Roman.“ (Thomas Wörtche, Deutschlandfunk Kultur)

3. Platz: Sybille Ruge: Davenport 160×90 (Suhrkamp)

Frankfurt am Main: Sonja Slanski betreibt eine Inkassofirma, die sich auch um andere Dinge im unreinlichen Wirtschaftsbereich kümmert. Von einer undurchsichtigen Society-Lady bekommt sie den Auftrag, eine hochkriminelle Anwaltskanzlei zu ruinieren, egal, mit welchen Mitteln. Slanski erledigt diesen Job ziemlich gründlich, noch nicht wissend, dass diese Klientin die Gattin ihres Gelegenheitslovers ist. Überraschend taucht ihre Halbschwester Luna auf. Als Luna einige Zeit später tot in Slanskis Wohnung liegt, weiß Slanski nicht, ob nicht eigentlich sie gemeint war. Und zu allem Überfluss soll sie auch noch für die Polizei undercover weiter gegen einen fiesen Filz aus Anwälten und Industriellen ermitteln.

„Diese Frau kann schreiben. Und wie. Große Verneigung. (…) Sybille Ruge, Lyrikerin, Schauspielerin, Kostümbildnerin und Schöpferin edler Textilien mit Interesse an Raumfahrt, Soziologie und den Texten von Heiner Müller – so ihre Kurzbiografie – liefert uns diese Figur [der Sonja Slanksi]. Serviert sie uns mit dem coolsten Buchauftakt seit Eric Amblers (…) ‚Mit der Zeit‘. (…) Ihr Buch ist ein höchst vergnüglicher, extrem unterhaltsamer und bewundernswert intelligenter Ritt auf der Rasierklinge, viele ihrer Sätze zum Schneiden scharf.“ (Alf Mayer, CulturMag)


International

Die Preisträger:innen des 39. Deutschen Krimipreises, Kategorie International

1. Platz: Riku Onda: Die Aosawa-Morde (Atrium). Deutsch von Nora Bartels

An einem stürmischen Sommertag veranstaltet die Familie Aosawa ein rauschendes Fest. Doch die Feier verwandelt sich in eine Tragödie, als siebzehn Menschen durch Zyanid in ihren Getränken sterben. Die einzige Unversehrte ist Hisako, die blinde Tochter des Hauses. Kurz darauf begeht der Mann, der die Getränke lieferte, Selbstmord und besiegelt damit scheinbar seine Schuld, während seine Motive im Dunkeln bleiben. Jahre später versuchen die Autorin eines Buches über das Verbrechen und ein Ermittler, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Doch die Wahrheit ist immer nur das, was wir aus unserer Perspektive sehen …

„(…) durch Gespräche mit Menschen im Umfeld der damaligen Ermittlungen (wird versucht) herauszufinden, was tatsächlich geschehen ist. (…). Auch die Gespräche selbst sind ein Rätsel: Es sind nur die Antworten nachzulesen. Man weiß nicht, wer fragt und wer antwortet. (…) Diese narrative Struktur ist mutig, innovativ und überzeugend. Onda liefert bis zum Ende ihres Romans keine Eindeutigkeiten, stattdessen bleibt bei Details offen, ob sie ein Zufall oder ein Indiz sind. Die Wahrheit über die Giftmorde sucht man vergebens.“ (Sonja Hartl, Deutschlandfunk Kultur)

2. Platz: Jacob Ross: Die Knochenleser (Suhrkamp). Deutsch von Karin Diemerling

Camoha, eine Insel der Kleinen Antillen: Dort wird der junge Michael „Digger“ Digson  von dem mysteriösen Detective Superintendent Chilman für eine Polizeitruppe rekrutiert, die gegen alle Korruption und alle politischen Widerstände effektive Polizeiarbeit leisten soll. Digger lässt sich zum Forensiker ausbilden und wird ein Virtuose des „Knochenlesens“. Zudem ist er auf der Suche nach seiner Mutter, die spurlos verschwunden und vermutlich ermordet worden ist. Auch Chilman hat seine Gründe, dem Verschwinden bestimmter Personen nachzugehen, wird doch die Insel von Wellen frauenfeindlicher Gewalt und gewalttätigem Terror gegen die Bevölkerung erschüttert.

„Wie bei jedem guten Kriminalroman der Welt kommt es auch bei ‚Die Knochenleser‘ viel weniger auf die Handlung an, als auf Atmosphäre, aufs Riechen, Hören, Schmecken, auf Differenzierung, Tiefe, nuancierten Erzählton. Nichts ist hier hochgestochen, auf Effekt oder Informationstransport hingeschrieben. Manchmal stutzt man als Leserin kurz, aber dann erklärt sich auch ein Wort wie ‚Verrennsic‘ – und macht Vergnügen (…).“ (Sylvia Staude, Frankfurter Rundschau)

3. Platz: Cherie Jones: Wie die einarmige Schwester das Haus fegt (CulturBooks). Deutsch von Karen Gerwig

Die Legende von der einarmigen Schwester sollte Lala eigentlich davor warnen, was mit Mädchen geschieht, die ihren Müttern nicht gehorchen. Doch für Lala ist es die verheißungsvolle Geschichte einer Abenteurerin, und als sie erwachsen ist und auf schreckliche Weise ein Baby verliert, schöpft sie daraus Hoffnung auf ein besseres Leben, weit weg von der Armut, weit weg von Adan, ihrem brutalen Mann. Dieser ist ein charismatischer, aber gewissenloser Kleinkrimineller, dessen Einbruch in eine der Strandvillen eine Kette von furchtbaren Ereignissen auslöst: ein Schuss, den niemand hören sollte. Ein Mord, der alles verändert und der auch Lala an einen Wendepunkt führt:

„Die Wörter prasseln beim Lesen auf einen ein, es gibt in der hervorragenden Übersetzung von Karen Gerwig kein Entrinnen. (…) ‚Wie die einarmige Schwester das Haus fegt‘ besticht durch seine Sprache, Unmittelbarkeit und Komplexität – Gewalt gegen Frauen ist hier kein bloßes Mittel, es geht nicht um den Effekt.“ (Sonja Hartl, CulturMag)


Die Jury: Volker Albers (Hamburger Krimifestival) / Andreas Ammer (ARD) / Claudia Denker (Buchhandlung Chatwins, Berlin) / Jens Dirksen (WAZ Kultur) / Monika Dobler (Krimibuchhandlung glatteis, München) / Christiane Dreiling (Buchladen Neusser Straße einzigundartig, Köln) / Joachim Feldmann (Kritiker) / Tobias Gohlis (Krimikolumnist Die ZEIT) / Günther Grosser (Kritiker) / Sonja Hartl (Kritikerin) / Cornelia Hüppe (Krimibuchhandlung Miss Marple, Berlin) / Reinhard Jahn (Bochumer Krimi Archiv) / Christian Koch (Krimibuchhandlung Hammett, Berlin) / Alf Mayer (Kritiker CrimeMag) / Torsten Meinicke (Buchladen in der Osterstraße, Hamburg), Peter Münder (Kritiker) / Ulrich Noller (WDR) / Michaela Pelz (krimi-forum.de) / Thomas Przybilka (BoKAS) / Kirsten Reimers (Kritikerin) / Robert Schekulin (Kritiker, Buchhändler) / Jan C. Schmidt (kaliber38.de) / Joachim Schneider-Sacotte (Kritiker) / Sylvia Staude (Frankfurter Rundschau) / Bettina Thienhaus (Kritikerin) / Jutta Wilkesmann (Krimibuchhandlung Die Wendeltreppe, Frankfurt) / Thomas Wörtche (Kritiker)

Die Kritiker:innen der Jury stimmen nicht für Titel, an deren Veröffentlichung sie aktiv beteiligt sind. Thomas Wörtche stimmt zudem ausdrücklich nicht für Titel des Suhrkamp Verlags.


Der Deutsche Krimipreis ist der älteste deutsche Krimipreis. Seit 1985 zeichnet eine Jury aus Krimi-Kritiker*innen, Literaturwissenschaftler*innen und Krimi-Buchhändler*innen die besten Kriminalromane des Jahres aus.

Mit dem Deutschen Krimipreis – vergeben in den Kategorien National und International – werden jeweils drei Romane gewürdigt, die inhaltlich originell und literarisch gekonnt dem Genre neue Impulse verleihen.

Der Deutsche Krimipreis ist undotiert und wird – ungewöhnlich in der Szene der Literaturpreise – in der Regel nicht öffentlich verliehen, sondern lediglich der Öffentlichkeit bekannt gegeben.

Auf dieser Seite finden Sie Informationen darüber, wer zur Jury gehört und wie die Teilnahmebedingungen sind. Außerdem können Sie sich über die Entstehung und Geschichte des Preises informieren.

Hier geht es zum Archiv: den Preisträgern von 1985 bis 2018 sowie zu den 119 besten Kriminalromanen aller Zeiten, die die von einer Jury ermittelt wurden.

Für alle Fragen, die nicht in der FAQ zum Deutschen Krimipreis beantwortet werden, gibt es die Möglichkeit, Kontakt mit der Organisatorin aufzunehmen.